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Dr.Gabriela E. Oprea, Uni Köln - "Plastin 3" schützt vor Muskelschwund

Forscher der Uniklinik Köln entdecken ein Gen, das vor erblicher Erkrankung schützt - 24.04.2008

Die spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine genetisch bedingte neuromuskuläre Erkrankung. Eines von 6000 Neugeborenen wird mit ihr geboren. Sie führt zu permanentem Untergang von Nervenzellen (Motoneuronen) im Rückenmark und damit zu fortschreitender Muskelschwäche und –schwund. Der Arbeitsgruppe um Prof. Brunhilde Wirth am Institut für Humangenetik der Uniklinik Köln gelang es ein Gen zu finden, welches vor SMA schützt. Damit ist weltweit erstmalig ein Gen entdeckt worden, das seine Träger vor einer erblichen Erkrankung schützt.

Jede 35. Person in der Bevölkerung ist Anlageträger für SMA, das heißt, die Person trägt zwar ein defektes Gen in sich, ist aber von der Krankheit selbst nicht betroffen, da eine zweite, intakte Genkopie den Defekt ausgleichen kann, denn das Gen kommt in der Regel paarweise vor. Sind bei einem Paar mit Kinderwunsch jedoch beide Partner Anlageträger, besteht für sie ein 25%iges Risiko, dass ein Kind mit SMA geboren wird. Bei ungefähr der Hälfte der SMA-Patienten treten erste Symptome schon in den ersten Lebensmonaten auf (SMA Typ I), und die Kinder sterben in der Regel noch vor Vollendung des 2. Lebensjahres durch Versagen der Atemmuskulatur. Die anderen 50 Prozent der SMA-Patienten weisen mildere Symptome auf. Bei spätem Beginn können Patienten ein hohes Alter erreichen. Die Muskelschwäche nimmt aber kontinuierlich zu, so dass die meisten Patienten mit fortschreitender Erkrankung auf den Rollstuhl angewiesen sind, eine Therapie gibt es bis heute nicht. 

Den SMA-Patienten fehlt ein wichtiges Gen im Erbgut, das sog. survival motor neuron Gen (SMN1). Der Krankheitsverlauf wird durch ein zweites Kopiegen (SMN2) stark beeinflusst. Je mehr SMN2-Kopien vorhanden sind, desto günstiger ist die Prognose. Während in den meisten Familien betroffene Geschwister einen sehr ähnlichen Krankheitsverlauf zeigen, treten in einigen wenigen Familien unerwartete Ausprägungsunterschiede auf, wie folgendes Beispiel verdeutlichen soll: Familie P. hat drei Kinder: Das eine ist mit 2 Jahren an SMA erkrankt und ist seit Kindesalter auf den Rollstuhl angewiesen, die anderen beiden sind im Alter von über 50 Jahren kerngesund. Alle drei tragen den gleichen Verlust des SMN1-Gens und haben die gleiche Anzahl der SMN2-Genkopien. Die beiden gesunden Geschwister werden offensichtlich durch das günstige Zusammenspiel von einem oder mehreren anderen Genen vor der Erkrankung geschützt.

Diese Familienkonstellation ist sehr selten, aber für die Forschung hochinteressant: Durch die Untersuchung der betroffenen und nicht-betroffenen Familienmitglieder gelang es der Arbeitsgruppe um Frau Prof. Brunhilde Wirth aus dem Institut für Humangenetik der Uniklinik Köln, ein Gen zu finden, das vor SMA schützt.

Das schützende Gen heißt Plastin 3 und liegt auf dem geschlechtsspezifischen X-Chromosom. Plastin 3 ist normalerweise in nahezu allen unseren Zellen exprimiert (1 – Erklärung unten), jedoch nicht im Blut.

Anders bei der oben beschriebenen Familie und fünf weiteren ähnlichen Familien: Hier wurde Plastin 3 bei allen gesunden Personen – in allen Fällen Frauen – bei denen SMN1 fehlt, auch im Blut exprimiert. Auch wenn Blutzellen nicht für eine Erkrankung an SMA verantwortlich sind, gehen Prof. Wirth und ihre Arbeitsgruppe davon aus, dass Plastin 3 auch in den krankheitsverantwortlichen Nervenzellen des Rückenmarks dieser Personen überexprimiert wird. Warum und wie es überhaupt zur Expression von Plastin 3 im Blut kommt und weshalb nur Frauen geschützt werden, konnte von der Gruppe trotz intensiver Suche noch nicht beantwortet werden.  Um die Auswirkung einer Überexpression von Plastin 3 auf neuronale Zellen zu untersuchen, haben sich die Autoren andere Zellsysteme und Modellorganismen (2 – Erklärung unten) zu Nutze gemacht.

Das Herunterschalten des Plastin 3 Gens in neuronalen Zellen führt zu einer starken Reduktion des Wachstums der  Nervenverlängerungen (Neuriten, Axone), ähnlich wie es für geringe SMN-Mengen beobachtet wurde. Die Axone der Motoneurone beim Menschen leiten die Impulse aus dem Rückenmark zu den Muskeln und werden beim Menschen normalerweise über 1 m lang. Eine Überexpression von Plastin 3 regt das Wachstum der Neuriten und Axone sehr stark an. Ganz besonders wichtig war der Nachweis einer Wiederherstellung des normalen Axonwachstums, wenn SMN herunterreguliert und Plastin 3 überexprimiert wird, womit der schützende Effekt auf den SMA-Phänotyp eindeutig nachgewiesen werden konnte.

Diese Ergebnisse konnten in drei verschiedenen Systemen gezeigt werden: in neuronalen Zellen der Ratte, in Motoneuronen von SMA-Mäusen und im Zebrafisch. Der Gruppe ist es somit gelungen, das erste vollständig schützende modifizierende Gen für eine erbliche Erkrankung beim Menschen zu identifizieren! Zudem hat sie einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis des Pathomechanismus der SMA geliefert, damit werden neue therapeutische Wege für diese oft tödliche Krankheit denkbar. Diese für die Wissenschaft und Patienten bahnbrechende Entdeckung wird heute von Prof. Wirth und Kollegen in der weltweit meistgelesenen wissenschaftlichen Zeitschrift SCIENCE veröffentlicht (Oprea et al. Science, April 25, 2008).

Bei Rückfragen: Prof. Dr. Brunhilde Wirth, Tel.: 0221 478-86464

Internet:                    www.uk-koeln.de/humangenetik

(1): Jede Zelle eines Organismus enthält die vollständige Erbinformation, d.h. in jeder Zelle sind alle Gene vorhanden. Jedoch werden in einer Zelle nur ganz bestimmte Gene gebraucht und nur die werden "angeschaltet", das heißt exprimiert: Diese Aktivierung von Genen zur Anfertigung der dazugehörigen Proteine wird als Expression bezeichnet. Welche Aufgabe eine Zelle im Organismus übernimmt, hängt von den Genen ab, die in ihr exprimiert werden.

(2); Modellorganismen sollen Hinweise zu Ursachen und zur Behandlung von menschlichen Erkrankungen liefern. Als Modellorganismen werden in der Forschung Bakterien, Pilze, Pflanzen oder Tiere verwandt, die einfach gezüchtet werden können. Die tierischen oder pflanzlichen Organismen stehen quasi „Modell“ für den Menschen. 

Hier der link zur Pressemeldung der Universitätsklinik Köln.

Hier ein weiterer link: „Ein Gen hilft dem anderen“ – natürlicher Schutz vor spinaler Muskelatrophie durch Plastin 3